Ein Tropfen auf den heißen Stein
Drane und ich starteten am Montag, den 10.10.11 unsere Reise nach Süditalien, um die von uns unterstützten Tierheime Salice Salentina und Campi Salentina zu besuchen und uns einen Eindruck von der Gesamtsituation in den Tierheimen zu verschaffen.
Während uns viele Menschen beneideten, dass wir zu dieser kalten Jahreszeit in den Süden flogen, konnte sich kaum jemand vorstellen, mit welchem Bauchgefühl Drane und ich in den Flieger stiegen. Süditalien assoziieren doch sehr viele Menschen mit strahlendem Sonnenschein, blauem Meer und Wärme. Wenn wir jedoch in so genannte Urlaubsländer reisen, denken wir an Strassenhunde, überfüllte Tierheime und hungernde Tiere.
Als wir den Flug buchten, war klar, dass wir auch Hunde nach Deutschland mitnehmen. Jedoch machte uns die Fluggesellschaft einen kleinen Strich durch die Rechnung. Wir gingen davon aus, dass wir mindestens zwei Hunde mit ins Tierrefugium bringen könnten, was sich so jedoch leider nicht umsetzen ließ. Die Fluggesellschaft erlaubte uns, einen einzigen Hund mit nach Deutschland zu bringen. Einen einzigen Hund! Nachdem wir dies erfuhren, bekamen wir Magenschmerzen. Wer sucht den Hund aus? Einen einzigen aus so vielen.
So flogen wir mit einer Transportbox los und kamen, nach einem schrecklichem Flug, nachts um zwei Uhr in unserem Elternhaus an. Klar war uns schon jetzt, dass es nicht so viel Schlaf geben wird, da wir am Dienstag, den 11.10. ins Tierheim Salice Salentina wollten, und man dort die Mitarbeiter nur bis 12.00 Uhr antrifft. So standen wir früh auf und waren bei dem Blick nach draußen erschrocken. Überall sah man streunende Katzen in verschiedenen Altersgruppen. Ein massives, still geschwiegenes, Problem in Süditalien. Die unkastrierten Tiere vermehren sich massiv und versuchen auf der Strasse zu überleben. Unsere Eltern richteten eine Futterstelle ein, um die Tiere zu füttern, sie einzufangen und kastrieren zu lassen. Dieses Vorhaben gestaltet sich jedoch schwieriger als erwartet, da die Tiere sehr schüchtern sind, und sich nicht anfassen lassen. Nachdem wir die Katzen gefüttert hatten, fuhren wir also in das ca. 15 km entfernte Tierheim Salice Salentina. Vor dem großen Stahltor angekommen, hörte man schon das massive, gestresste Bellen der 180 Hunde, die sich in diesem Tierheim befinden. Zu erwähnen ist, dass das Tierheim für 50 Hunde ausgelegt ist.
So betraten wir das Gelände. Rechts von mir war ein lang gezogener Zwinger, in dem sich drei Hunde befanden. Als ich mich dem Zwinger näherte, sah ich eine alte Schäferhündin. Ich versuchte sie an den Zaun zu locken um sie, so gut es eben durch den Zaun ging, zu streicheln. Als Drane das sah, informierte sie mich darüber, dass es sich bei dieser so alt wirkenden Hündin, um die Schwester meiner eigenen Hündin Laila handelt, die Drane und John vor vielen Jahren aus dem Tierheim retteten. Die Tatsache, dass die Schwester meiner Hündin noch immer in dem Tierheim saß, verursachte einen Klos in meinem Hals. So nah liegt eben Glück und Unglück bei einander.
Es war extrem laut. Es wurde geschrien, Metalltöpfe wurden permanent auf den Boden geworfen, um die Hunde dazu zu bringen, mit dem Gebelle aufzuhören und es roch massiv nach Unrat.
Als man unsere Anwesenheit bemerkte, kam man lautstark auf uns zugelaufen und begrüßte uns. Man sprach permanent durcheinander, schmiß nebenbei mit den Metalltöpfen und zeigte uns Hunde. Man führte uns in das Untersuchungszimmer, und was wir dort sahen war niederschmetternd. Eine große schwarze Hündin lag auf einer alten Hose und schaute uns schüchtern an. Sie war schwanger und erwartete in den nächsten Tagen ihre Welpen. Während das dort arbeitende Personal schrie und wild gestikulierte, erinnerte ich mich daran, daß ich noch Hunde-Leberwurst in meinem Rucksack hatte. Ich holte sie raus und verfütterte sie an die schüchterne Hündin. Als man sah, dass ich dem Hund was zu essen gab, schrie man wieder herum und versicherte mir, dass der Hund Futter bekäme. Ich kam nicht dazu, den Leuten zu erklären, dass ich der Hündin etwas besonders leckeres geben wollte. Um die Hündin nicht weiter zu stressen, gingen wir raus. Wie verabschiedet man sich von einer Hündin, die in wenigen Tagen Welpen bekommt und keine sichere Zukunft hat? Ich weiß es bis heute nicht. Ich wünschte ihr alles Gute für die Zukunft, und sagte ihr, dass sie nie aufgeben darf.
Nachdem wir aus dem Raum gegangen waren, zeigte man uns zwei, vor wenigen Tagen abgegebene Welpen. Sie waren sehr zutraulich und verschmust, jedoch war klar, dass wir diese beiden nicht mit nehmen können, da sie nicht geimpft waren. Und wieder einmal schlägt uns die Tatsache ins Gesicht, dass das A und O im Tierschutz, die so wichtige Kastration der Tiere ist.
Wir gingen durch die Zwingeranlage, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass wir einen Hund mit nach Deutschland nehmen können. Einer von 180. Es gab dieses mal jedoch Richtlinien, die die Auswahl des Hundes einkreisten. Er musste in unsere Box passen und durfte nicht mehr als 7 kg wiegen. Als Drane die Tierheimleitung darüber informierte, daß wir einen kleinen und leichten Hund mit nach Deutschland nehmen wollen, führte sie uns an einen Zwinger, in dem ca. 15 Hunde lebten, die alle samt die gestellten Vorraussetzungen erfüllten. Wen nimmt man nun mit? Drane und ich konnten keine Entscheidung treffen und verschoben diese auf den nächsten Tag. Wir setzten unseren Gang durch das Tierheim fort. Die Zwinger, die aus einem Innenbereich und einem kleinen Auslauf bestanden, wurden getrennt, sodass ein Teil der Hunde nur drinnen, im permanent nassen und dunklen Zimmer ohne Tageslicht leben mussten, und die, die draussen lebten, waren der Witterung schutzlos ausgeliefert. Die Hunde verbringen ihr ganzes Leben in diesen Zuständen und verlassen den Zwinger nie. Selbst zur Reinigung der Anlagen, werden die Hunde nicht aus den Zwingern gelassen. Man spritzt, ohne Rücksicht auf die Tiere zu nehmen, die Böden und Wände ab. Jene sind mit Schimmelpilz übersät und der Putz bröckelt von den Wänden. Die Situation ist schier unerträglich.
Am nächsten Tag fuhren wir zunächst in das Tierheim Campi Salentina, welches das erste von uns unterstützte Tierheim in Süditalien war. Die Zustände haben sich seit dem ersten Besuch vor elf Jahren wesentlich verbessert. Hündinnen werden konsequent kastriert und es wird ein Bestandsbuch geführt. In diesem Tierheim leben die meisten Hunde in größeren Gehegen in Rudeln zusammen. Nachdem wir uns von der Situation in Campi Salentina ein Bild gemacht hatten, fuhren wir weiter nach Salice Salentina. Nun ging es darum, einen Hund für unseren Flug nach Deutschland auszusuchen. Im Tierheim angekommen, standen wir erneut vor dem Zwinger, in dem die vielen kleineren Hunde lebten. Die Tierheimleitung zog eine kleine hellbraune Hündin aus dem Gewusel kleiner Hunde heraus und kam aus dem Zwinger. "Das ist Irena." Drane nahm die extrem aufgedrehte junge Hündin auf den Arm und hatte ihre Mühe, den kleinen Wirbelwind fest zu halten. Vom Gewicht her könnte es hin hauen. Und so war klar, dass wir diese kleine Maus mit ins Tierrefugium nehmen würden. Man freut sich in diesem kurzen Moment über das eine Leben das man gerettet hat, doch nach sehr kurzer Zeit, frisst einen die Tatsache auf, dass 179 Hunde noch immer auf ihr Glück warten.
So nahmen wir Irena mit ins Auto und hofften, dass sie sich etwas beruhigen würde. Kaum waren wir ins Auto gestiegen, legte sich Irena auf die Rückbank und schlief ein.
Als wir ca. 500 m von unserem Elternhaus entfernt im Auto saßen, sagte Drane, dass wir nun alles erledigt hatten. Eine gewisse Erleichterung stellte sich ein, die jedoch nicht lange anhielt. Wir bogen in die Via B3 ein, 250 m von unserem Elternhaus entfernt, als Drane unsere Mutter fragte, ob sie auch eine schwarze Straßenkatze füttern würde. Nein. Was Drane aus dem Augenwinkel gesehen hatte war keine Straßenkatze. Es war eine alte, kleine Straßenhündin, die vollkommen verlassen auf der Straße stand und uns anschaute. Drane stieg aus, nahm die kleine Hündin auf den Arm und ging die wenigen bewohnten Häuser ab, um zu fragen, ob jemand diesen Hund kenne. Keiner kannte die ca. zehn Jahre alte Chihuahua-Mix-Hündin, die kaum Haare am Rücken, Ohren und Hals hatte. So kam Drane mit der kleinen auf dem Arm wieder in das Haus meiner Eltern. Nun hatten wir zwei Hunde. Klar war, dass wir nur einen Hund mit nach Deutschland nehmen durften. Als mein Vater in einem kleinen Supermarkt war, berichtete er dort, dass wir die kleine schwarze Hündin, die wir auf den Namen Santina tauften, gefunden haben. Dort informierte man ihn, dass ein Mann nach einem kleinen schwarzen Hund suchen würde. Zuhause angekommen berichtete er uns davon und wir fuhren alle Geschäfte ab, um eventuell den Besitzer ausfindig zu machen. Als wir wieder Zuhause waren, sagte uns unsere Mutter, dass sie wüsste, wer den Hund suchte. Die Geschichte ist unglaublich. Santina wurde von unseren Nachbarn auf einer stark befahrenen Straße in der Stadt Veglie gefunden. Sie war in einen, mit Papier ausgestopften und zugeklebten Karton, auf der Straße ausgesetzt worden. Der Hund hatte keine Chance, sich aus dem Karton zu befreien. Der Karton hatte ein kleines Loch an der Seite und Santina streckte ihr Pfötchen hinaus, sodass unsere Nachbarn sehen konnten, dass sich ein Tier in dem Karton befand. Sie hielten an, befreiten den Hund aus dem Karton und nahmen sie mit nach Hause. Santina wurde gewaschen, da sie stark verschmutzt war und im Bad untergebracht, da sich die Katze der Nachbarn nicht mit der kleinen Hündin vertrug. Santina entwischte jedoch aus dem Bad. Das war Santinas Glück, da unsere Nachbarn die kleine Hündin ins Tierheim bringen wollten. So stand fest. Santina hat eine schlimme und traurige Vergangenheit. Aber was sollten wir nun tun? Drane und ich überlegten und nach kurzer Zeit fand sich eine Lösung, die besser nicht sein konnte. Unsere Eltern, die schon einen acht Jahre alten Rüden haben, entschieden sich dazu, die kleine Santina zu behalten. Die kleine, etwas zurückhaltende Hündin hatte Glück. Eine von hunderttausenden Straßenhunden die Glück hatte.
Am nächsten Tag, es war mittlerweile Donnerstag, gingen meine Eltern mit Santina zum Tierarzt Dr. Donateo, während Drane und ich nach Porto Cesareo auf den Markt gingen. Wir wollten einfach etwas entspannen, da wir am Abend einen Termin bei der Gemeinde Guagnano hatten, welche gemeinsam mit der Gemeinde Salice Salentina für das Tierheim in Salice Salentina zuständig ist - wir wollten dort in einem Gespräch mit den Verantwortlichen auf die miserablen und unerträglichen Zustände aufmerksam machen. Auf dem Markt angekommen dauerte es nicht lange und wir sahen zwei Straßenhunde in der Nähe eines Fleischerwagens. Einer der beiden war sehr dünn und hungrig. So gingen wir zum Fleischerwagen und kauften 1 kg Fleisch und verfütterten es an die zwei Rüden. Während der Fütterung viel uns auf, dass wir von allen Seiten angestarrt wurden. Kopfschüttelnd starrten uns die Marktbesucher an und konnten nicht verstehen, warum wir die hungrigen Tiere füttern.
Als wir das Fleisch verfüttert hatten gingen wir weiter. Nach ca. zehn Minuten erhielt Drane einen Anruf von einer deutschen Touristin in Süditalien, die eine hochschwangere Hündin gefunden hat, die wohl in den nächsten Tagen ihre Welpen zur Welt bringen wird. Sie wusste nicht was sie mit der Hündin machen sollte. Drane beriet die Touristin und nach einem viertelstündigen Gespräch, liefen wir weiter über den Markt. Doch der entspannte Marktspaziergang stellte sich nicht ein. An fast jedem Stand wurde Pelz verkauft. Pelzmäntel, Pelzstolas, Pelzmützen und viele weitere Gegenstände mit Pelzbesatz.
Als wir wieder Zuhause waren, erzählten uns unsere Eltern vom Tierarztbesuch bei Dr. Donateo. Der Tierarzt hat seine Praxis in Veglie, der Stadt, in der man Santina in dem verschlossenen Karton fand. Der Tierarzt kannte die kleine Hündin und berichtete meinen Eltern von dem schrecklichen Leben der Straßenhündin. Santina lebte in einer Familie, die den Hund sehr schlecht behandelte. Ein Nachbar, der die schlimme Situation von Santina kannte, konnte den Hund aus der Familie holen und setzte sie an einem Platz aus, an dem viele Restaurants sind und ein Rudel Straßenhunde lebte. Die Straßenhunde bekommen dort die Essensreste der Restaurantbesucher und können so überleben. Der Mann besuchte Santina dort regelmäßig. Eine Frau, die in der Nähe des Platzes wohnte, hatte Mitleid mit der kleinen Hündin, fütterte sie und brachte sie zu dem Tierarzt Dr.Donateo, da Santina kaum Haare am Körper hatte. Er gab der Frau eine Creme, mit der Santina eingecremt wurde. Leider machte sich die Frau mit ihrer Hilfsaktion für die Kleine Straßenhündin nicht viele Freunde und die Nachbarn beschimpften sie. Eines Tages war Santina verschwunden und die Frau rief beim Tierarzt Dr. Donateo an, um zu fragen, ob er wüsste, wo sich die kleine Hündin befindet. Genau an dem Tag, an dem Santina verschwand, wurde sie in einen Karton gestopft und auf die befahrene Straße gelegt. Doch nun ist Santina in ihrem neuen Zuhause, und wird wie eine Prinzessin behandelt.
Der Abend kam und wir fuhren nach Guagnano, um dort mit einer Vertreterin der Gemeinde zu sprechen. Um ganz ehrlich zu sein, haben wir uns nicht all zu viel von diesem Gespräch erhofft, da wir die Einstellung der Verantwortlichen nur all zu gut kennen. Jedoch darf man keine Chance ungenutzt lassen.
An dem Gemeindebüro angekommen, empfing uns ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes, der sich für die Belange der Straßentiere einsetzt. Er war es auch, der diesen Termin zustande brachte. So gingen wir in das Gebäude und man stellte uns einer Frau vor, die, so sagte man uns, für die Straßenhundproblematik zuständig sei. Die Gemeindevertreterin wirkte recht gelangweilt, und man merkte nach kurzer Zeit, dass das Gespräch keinen Erfolg bringen würde. Doch dann kam es doch völlig anders als vermutet. Der leitende Ingenieur von Guagnano kam zu dem Gespräch dazu und Drane schien ihn von der Problematik überzeugt zu haben. Er vereinbarte noch am selben Abend ein Gespräch mit dem Comissario (vergleichbar mit einem Oberbürgermeister). Wir mussten einige Zeit warten, bis wir in das Büro gerufen wurden. Anwesend waren neben dem leitenden Ingenieur auch der Chef der Polizei, ein weiterer Vertreter der Gemeinde und der Comissario. Drane erklärte den anwesenden Personen bildlich die schlimme Situation in dem Tierheim Salice Salentina und, dass sich diese Situation ändern müsse. Bei der Frage, wie man die Situation verbessern könne, brachte Drane viele Verbesserungsvorschläge vor. Nach ca. 30 Minuten war das Gespräch beendet und Drane tauschte mit dem Chef der Polizei die Kontaktdaten aus. Bereits am nächsten Tag, meldete sich der Polizeichef beim Amtsveterinär, um das Tierheim Salice Salentina zu besuchen und eine Begehung zu machen. Wir hoffen, dass wir durch das Gespräch etwas zur Besserung der Situation für die Tiere bewirken konnten. Wir sind mit allen Offiziellen so verblieben, das wir in einigen Monaten erneut Zusammentreffen und die Fortschritte oder auch Probleme bei der Umsetzung der von Drane gemachten Besserungsvorschläge besprechen werden.
Am Freitag mussten wir nach drei turbulenten und emotional sehr aufwühlenden Tagen abschied von Italien nehmen und flogen mit Irena in der Transportbox an den Flughafen. Dort angekommen, sagte man uns, dass unsere Transportbox zu groß sei. Wir informierten das Personal der Alitalia, dass wir ein mal in Frankfurt und ein mal in Rom nachgefragt hatten, ob die Box von der Größe her in Ordnung sei. Zwei mal wurde uns mitgeteilt, dass die Box o.k. sei. Uns war klar, dass wir auf keinen Fall ohne den Hund fliegen werden. Unsere Argumente waren entweder so gut, oder die Frau von Alitalia hatte keine Lust mehr mit uns zu diskutieren und so checkten wir ein und flogen nach Deutschland. Wir haben in drei Tagen wieder einmal viel gesehen. Leid, Elend, Hunger und Verzweiflung.
(Text: Giovanna Pepaj)
Reisebericht Juni 2011
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